Ist das Bild von Mutterschutz und einer schützenswerten Frau nicht ein veraltetes und widerspricht sogar dem Ansatz des Feminismus?
Das Gegenteil ist der Fall. Das Prinzip des Gestaffelten Mutterschutzes rückt eben nicht die Frau als „funktionierende Reproduktionsmaschine“ in den Vordergrund, sondern spricht den Frauen das Recht zu, dass ihr Empfinden, dass sie selbst als Frau im Mittelpunkt stehen. Auch eine Frau, deren Kind nicht lebend geboren wurde, hat das Recht sich als Mutter zu fühlen und geschützt zu werden, auch wenn sie im Sinne der Reproduktion „nicht geliefert hat“. Selbst heute noch machen viele betroffene Frauen genau diese Erfahrung. So lange sich ein lebendes Baby im Bauch der Schwangeren befindet, erfährt sie staatlichen Schutz und medizinische Priorität. Sobald die Diagnose Fehlgeburt ausgesprochen wurde, und die Frau nur noch Frau und nicht mehr werdende Mutter ist, erfährt sie keine Priorisierung und kaum mehr Schutz. Das äußert sich nicht nur im fehlenden Angebot eines gestaffelten Mutterschutzes, sondern auch in langen Wartezeiten in Praxen und Kliniken auf Eingriffe wie Kürettagen, zögerlichen oder verweigerten Ausstellen von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen und der Nichtaufklärung über Rechte (zum Beispiel auf Hebammenbetreuung). Diese tägliche Realität zeugt von einem veralteten Mutterschaftsbild. Salopp ausgedrückt: So lange die Frau funktioniert und lebende Kinder gebärt, ist sie schützenswert. Funktioniert sie nicht und gebärt ein totes Kind, darf sie sich nicht als Mutter fühlen. Und hier setzt die Forderung nach dem Angebot eines Gestaffelten Mutterschutzes an: Eine Frau muss nicht funktionieren und darf sich trotzdem als Mutter fühlen, wenn das ihrem Empfinden entspricht. Und genauso darf sie sich auch nicht als Mutter fühlen, wenn sie dies so empfindet. Nur sie selbst entscheidet darüber was sie empfindet, und ob sie Schutz in Anspruch nehmen möchte oder nicht. Falls ja, sollte ihr dieser zustehen. Sie hat die Wahl. Das ist Feminismus.
Denn nein, eine Frau ist nicht nur schützenswert, wenn sie Mutter ist. Deswegen sind wir in unserem Verein für Feministische Innenpolitik auch pro Choice. Egal ob es dabei um die Wahl der Frauen im Hinblick auf Schwangerschaftsabbrüche geht, oder um die Wahl, ob eine Frau nach einer Fehlgeburt Gestaffelten Mutterschutz in Anspruch nehmen möchte, oder nicht. Aber sie muss die Wahl haben, es ist ihre Entscheidung.
Zum Schluss eine ganz persönliche Anmerkung. Zuzugeben, dass ich nach meiner Fehlgeburt Schutz gebraucht hätte und nicht einfach weiter machen konnte, das hat mich viel Mut und Überwindung gekostet. Denn ich war der Typ, der auch mit Fieber ins Büro gegangen ist, wenn es sein musste. Ich war stolz darauf, so gut wie immer Leistung zu bringen und hätte ich vor ein paar Jahren von einer Petition für Gestaffelten Mutterschutz gelesen, ich weiß nicht wie ich reagiert hätte. Als emanzipierte Frau heute zuzugeben, dass man gerade nicht mehr kann, ja sogar staatlichen Schutz zu fordern, sieht für viele danach aus, als ob man sich zurückzieht auf ein Bild der schwachen, armen schützenwerten Frau. Aber jeder Mensch kann in Situationen kommen, in denen er Schutz benötigt. Und das anzuerkennen und dann aufzustehen und für sein Recht auf Schutz zu kämpfen, das hat nichts mit einem veralteten Rollenbild zu tun, sondern mit Stärke. Mit Mut. Und mit Feminismus.